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Storia del paese

Gino Jelmoni

CASA RINA

Zu den Zeiten, zu welchen jene, die wir heute Touristen nennen, Sommerfrischler genannt wurden, das heißt, als der Tourismus oder richtig die Sommerfrische noch kein Massengut war, schwang sich das kleine und alte Bauerndörfchen Formine, in dem die harte Feldarbeit hauptsächlich von den Frauen verrichtet wurde, da so gut wie alle Männer Saisonarbeiter waren, zu einem kleinen, internationalen Tourismuszentrum- auf dank der Initiative einer damals noch jungen Landsmännin (conterranea). Es war in den zwanziger Jahren, und in dem lieblichen Dorf wurde mit Feuereifer gebaut. Man erbaute das erste Hotel, die Villa Denis, welcher das Casa Rossa folgte. Ich erinnere die Scharen von Arbeitern und Handwerkern, die sich am Morgen, beladen mit ihren Werkzeugen und verschiedenem Material, den steilen und gewundenen Saumpfad hochschleppten, der von der Staatsstraße abzweigend durch Rondonico und Marchile führt. In diesen Zeiten hatte die örtliche "Osteria dei Cacciatori" von Formine Hochkonjunktur! Die Getränke, hauptsächlich Wein und Brause in den charakteristischen Fläschchen, die von innen mit einer Glaskugel verschlossen waren, wurden vorwiegend von den Frauen dort hochgeschafft, die mit den mit Damigiane und Flaschen beladenen Kiepen (gerle) manches Mal sogar von Cannobio kamen. Welch hartes Leben für die Frauen jener Zeit! Ein Leben voller Mühsal, dem die Signorina Rina Pedroni, diejenige, welche später Planerin und Erbauerin von Formine als modernem Sommerfrischezentrum werden sollte, sich entzog, indem sie ihr Geburtsörtchen sehr jung verließ, um in Paris, wohin ihr Vater schon vor längerer Zeit ausgewandert war, die Familie wiederzuvereinigen.

Rina war intelligent, hatte aber auch sehr viel mehr Glück als viele ihrer Altersgenos-sinnen, konnte sie sich doch von klein auf eine für jene Zeit und jene Gegend privilegierte Ausbildung zunutze machen. Sie besuchte die Schule der Ursulinerinnen in Cannobio, wo sie unter anderem die Kunst des Stickens sehr gut erlernte. Die Begegnung mit einem vornehmen englischen Herrn, einem gewissen Mister Brown, im großen Paris, vielleicht in eben jener Stickereiwerkstatt, die Rina mit ihrer Schwester betrieb, änderte erneut den Lauf ihres Lebens und sie lebte fürderhin als Mrs. Brown in London.

Einige Jahre behaglichen Lebens in London und wahrscheinlich ein wenig Heimweh nach ihrem Geburtsort, vor allem aber die gute finanzielle Situation der Familie ließen in ihr den Plan für das große Hotelabenteuer in Formine reifen. Die unbequeme Lage Formines bereitete ihr keine großen Sorgen. Die wichtigsten Baumaterialien jener Zeit wie Steine und Sand für Mörtel gewann man in der Umgebung der Baustelle, und für den Transport zur Baustelle selbst genügte ein Rundruf und siehe, Scharen von Frauen mit ihren Kiepen (gerle) und cadule fanden sich ein.

Es sei gesagt, dass die unternehmungslustige Mrs. Brown schon damals an eine Autostraße nach Formine gedacht hatte, die von Piaggio Valmara ausgehen sollte. Ihre Trasse war schon abgesteckt. Für gewisse Materialien wie feinen Sand zum Verputzen, Kalk etc. war eine Teleferica gebaut worden, die nicht mit einem Motor, sondern durch Gegengewicht angetrieben wurde: mit Wasser gefüllte, große Holzbottiche, die auf einem der beiden metallenen Tragseile hinabgeschickt wurden, zogen auf dem anderen Seil vermittels des Zugseils das benötigte Material nach oben. Das Interesse, mit dem ich die Funktionsweise dieser einfachen Transportanlage beobachtete, war so groß, dass ich sehr bald eine gleichartige in sehr viel kleinerem Maßstab längs des Abhangs vor meinem Haus baute. Ich benutzte dazu dünnen Eisendraht als Seil und als Eimer alte Konservenbüchsen, die ich aus den damals noch kleinen Müllhalden barg. Es war eines der vielen Do-It-Yourself-Spielzeuge mit denen wir Kinder uns vergnügten.

Das erste Hotel, also die Villa Denis, wurde in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre fertiggestellt. Denis war das einzige Kind der Signora Rina. Er war mein Altersgenosse und wir wurden zusammen in der Pfarrkirche von San Bartolomeo gefirmt. Als Erwachsener scheint er nie wieder nach Formine zurückgekehrt zu sein. Er tauchte jedoch bei Kriegsende als Offizier der alliierten Truppen bei Bekannten in Mailand auf.

An der Seite des Hotels war ein schöner Tennisplatz mitten im Grünen angelegt worden, der wegen der abschüssigen Natur des Geländes selbstverständlich von einem sehr hohen Metallzaun umgeben war. So begannen aus England die ersten Gäste einzutreffen, um der Reihe nach ihre Sommerferien in dieser unbequemen aber bezaubernden Lokalität zu verbringen. Bei jeder Ankunft einer Gruppe neuer Gäste wurden all die "Hubschrauber" jener Zeit, das heißt viele Frauen, ausgerüstet mit ihren Kiepen (gerle), zum Transport des Gepäcks von der Staatsstraße nach Formine mobilisiert. Günstige Zeiten für die arme ländliche ökonomie von Formine und Umgebung! Natürlich hatte die Junghotellière auch an einen exklusiven Strand für ihre Gäste gedacht. Sie erwarb ein Grundstück am Seeufer und ließ dort von einem tüchtigen cannobieser Handwerker eine schöne, geräumige und solide Hütte aus Holz errichten, die noch immer steht. Die Badeausstattung umfaßte auch eines jener für unseren See typischen, langen Ruderboote und natürlich einige Sonnenschirme. Die Gäste, die im damals noch kristallklaren Wasser unseres Sees zu baden wünschten, gingen am Morgen mit ihren Papiertüten, auf denen Casa Rina aufgedruckt war und die die Lunchpakete enthielten, zum See hinunter und stiegen dann den langen Weg nach Sonnenuntergang wieder herauf. Der Strand, den wir Kinder vom Ort aufsuchten, lag neben dem der englischen Badegäste und ich erinnere mich, wie ich mich jenes eine Mal so fürchterlich schämte, als sie sehr vergnügt über mich lachten, als sich der Boden meiner Do-It-Yourself-Badehose löste, die aus einem ausrangiertem Filzhut bestanden, in dessen Kopf zwei Löcher für die Beine waren und die sich vermittels einer an der Krempe angebrachten Kordel an der Taille hielten.

Offensichtlich sehr zufrieden mit dem großen Anfangserfolg ihres Hotelbetriebes beabsichtigte die Signora Brown nicht bei ihrer ersten Erfahrung mit der Villa Denis haltzumachen und beschloß sehr bald den Bau des Casa Rossa als Anbau an ihr altes Elternhaus, eine Entscheidung aber, die ganz und gar nicht von Mister Brown geteilt wurde.

Leider jedoch nahmen die Dinge für die Signora Brown am Beginn der dreißiger Jahre eine sehr schlechte Wendung, wohl aus Gründen mangelnder administrativer Umsicht und übermäßiger Verschuldung, sowie nicht zuletzt wegen der immer schwierigeren diplomatischen Beziehungen zwischen Italien und Großbritannien, die schließlich in den von den Vereinten Nationen angedrohten Sanktionen gegen Italien gipfelten. Das große Abenteuer internationaler Tourismus in Formine, das einige Jahre andauerte, schloss reichlich ruhmlos unter Bedauern vieler Leute, vor allem aber unter der sehr großen Angst der verschiedenen Handwerker und Lieferanten, die noch nicht bezahlt worden waren. In der Tat kam es zu Bankrott und Versteigerung der beiden Hotels, aber es ist zweifelhaft, dass es auch nur einigen Gläubigern gelang, zu kassieren was ihnen geschuldet wurde. Mrs. Brown war unterdessen aus Formine verschwunden und nach London zurückgekehrt.

Sie tauchte einige Jahre nach dem Ende des Krieges wieder auf, nunmehr Witwe, in bester physischer Verfassung, immer noch elegant, immer noch ruhelos und kämpferisch, mehr denn je entschlossen auf dem Rechtswege all ihre Besitztümer wiederzuerlangen. Sie konsultierte und beauftragte Anwälte mit dem einzigen Ergebnis, dass sie nachher gesalzene Rechnungen zu bezahlen hatte.

Von ihrem Mann hatte sie eine gute Rente geerbt, doch das Geld reichte bei ihr nie aus, war sie doch auch großzügig denen gegenüber, die ihr nahestanden und die etwas für sie taten. Von ihrem Elternhaus in Formine aus brach sie häufig zu längeren Reisen auf. Man sagt, sie hätte in einem gewissen Moment in England die vollständige Auszahlung ihrer Rente beantragt. Gemäß ihrer Art mit Geld umzugehen fand sie sich bald in Armut wieder. An diesem Punkt, alleine, Trostlosigkeit und Demütigung anheimgegeben, in dem großen Elternhaus dort oben in jenem Dorf, das nunmehr nach und nach von seinen Bewohnern verlassen wurde, entschied sie, zu ihrer letzten Reise ohne Wiederkehr aufzubrechen: zum Selbstmord.

Seit November 1953 ruht Rina auf dem kleinen Friedhof von San Bartolomeo in Montibus, unweit des Abgrundes, in den sie sich stürzte.

Nach vielen Jahren kompletter Verlassenheit hat Formine erneut internationalen Charakter angenommen. Deutsche Staatsangehörige, jetzt Besitzer der beiden Ex-Hotels, und Mailänder Bürger in ihren alten Häuschen verbringen dort oben in bester freundschaftlicher Beziehung und Zusammenarbeit ihre Sommerferien. Leider wird dieses Jahr allen der so teure Freund Mario fehlen, der in Formine zur Welt kam und vergangenes Jahr im Alter von nur 49 Jahren in Mailand verstarb.

Zwei sind die Wege, die hinauf nach Formine führen und beide in ziemlich schlechtem Zustand. An jenem heute hauptsächlich begangenen, der an der Pfarrkirche von San Bartolomeo Valmara beginnt und nicht nur nach Formine, sondern auch nach San Bartolomeo in Montibus und auf die alten Alpen führt, ist trotz wiederholter Anträge an die kommunale Verwaltung niemals der Pont de Ri wiederaufgebaut worden. Man ist gezwungen im Flußbett von Stein zu Stein zu springen, um den Weg fortzusetzen.

aus: l’opinione di Cannobio, numero 13-Aprile 1997 übersetzung: Frank Beck